8. Fachtag Regenbogenphilanthropie
LSBTIQ*-Kinder auf die Agenda der Entwicklungzusammenarbeit

Die Forderung ist klar und unmissverständlich: Es gibt queere* Kinder und Jugendliche. Und ihre Bedürfnisse müssen in der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtig werden. Anders als die Jahre zuvor schloss der 8. Fachtag Regenbogenphilanthropie damit thematisch direkt an seinen Vorgänger an. 2015 wurde Grundlegendes erklärt, 2016 sollte es nun in die Arbeitsphase gehen.

Mit dem Bericht über ihre Kindheit im Iran führte die lesbische Aktivistin Shadi Amin die Teilnehmenden in die Materie. Wie sehr sie unter ihrem Anderssein und dem Sich-Verstecken-Müssen litt verdeutlichte eindringlich den Leidensdruck von queeren Kindern. Doch in den vergangenen 40 Jahren gab es offensichtlich nicht viel Fortschritt. „Die angeregteste Diskussion bricht sofort ab, sobald das Thema ‚gay‘ zur Sprache kommt“ berichtete Coenraad de Beer von SOS Children’s Village International in der anschließenden Podiumsdiskussion über seine Erfahrungen bei Netzwerktreffen im Globalen Süden und Osten. „Über LSBTIQ-Themen zu sprechen wird entweder als Rekrutierungsversuch oder als Werbung für den Westen aufgenommen“ erklärte Safari A. aus Kenya. Sicher tausche sich die queere Community untereinander aus, aber über oder mit LSBTIQ-Kindern würde nicht geredet. Dabei bräuchten Kinder unbedingt eine Bezugs- und Vertrauensperson. Safari selbst wuchs in einem SOS-Kinderdorf auf und konnte mit niemandem über ihre sexuelle Orientierung reden. Als sie mit 18 ihrer SOS-Mutter und wichtigsten Vertrauensperson davon erzählte, sprach diese eine ganze Weile nicht mehr mit ihr. „Sie wusste einfach nicht, was sie sagen sollte.“ Safari hält es für essentiell, dass nicht nur queere Kinder Unterstützung bekommen. Denn wenn die Mütter keinen Rückhalt innerhalb der Organisation erhielten, würde sich nicht viel ändern. De Beer fügte hinzu, dass iNGOs selbst auch Backup durch Globale Initiativen und von politischer Ebene benötigten. Die Unterstützung sei von Land zu Land unterschiedlich, so Jens Wagner vom Auswärtigen Amt. Vieles erfolge hinter verschlossenen Türen und nicht in offiziellen Statements. Für alle drei steht fest: Zum einen muss die jeweilge Zivilgesellschaft vor Ort gestärkt werden. Nur so kann der öffentlichen Meinung, bei LSBTIQ handele es sich um ein westliches Thema, widersprochen werden. Zum anderen muss klargestellt werden, dass LSBTIQ eben auch ein Kinderthema ist.

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In den anschließenden Workshops erarbeiteten die Teilnehmenden – Kinderrechtsorganisationen, Stiftungen, nationale sowie internationale NGOs und interessierte Einzelpersonen – gemeinsam, wie sie das Thema auf unterschiedlichen Ebenen angehen könnten. Die Arbeitsgruppe ‚LSBTIQ-Kinder aus der Familienperspektive‘ trug zusammen, um welche Kinder es sich eigentlich handelte und welchen Schwierigkeiten sie ausgesetzt seien. Trans*- und Inter*-Kinder laufen zusätzlich zur Ausgrenzung Gefahr, Opfer fehlender medizinischer Betreuung oder von körperlicher Verstümmelung durch ‚kosmetische‘ Operationen zu werden. Aufklärung der Eltern und des medizinischen Personals sowie eine höhere Sichtbarkeit des Themas ‚LSBTIQ-Kinder‘ könnte die Situation der jungen Menschen deutlich verbessern.

Eine Analyse ihrer organisationsinternen Bereitschaft für das Thema führten die Teilnehmenden von ‚Institutional Readiness‘ durch. Dabei sammelten sie viele Ideen, wie Mitarbeitende nach einem sorgfältigem Monitoring in den Prozess des Mainstreamings miteingebunden werden könnten, z.B. über Trainings, Webinars und klare Leitlinien durch das Management. Auf Erfahrungen aus anderen Mainstreaming-Thematiken wie HIV/Aids oder Gender könnte dabei ebenso zurückgegriffen wie aus Bad Practices gelernt werden. Interorganisatorisch solle ein konkreter Leitfaden erarbeitet werden, der unerfahrenen Organisationen den Einstieg in das Thema erleichtere.

Auch im Umgang mit lokalen und implementierenden Partner_innen vor Ort, wie Kommunalverwaltungen, zivilgesellschaftlichen Organisationen oder Betreuungspersonal, besteht Handlungsbedarf. Im Workshop „Awareness Raising“ wurde diskutiert, in welchem Verhältnis Top-Down- und Bottom-up-Ansätze zur Sensibilisierung für das Thema stehen sollten. Das Motto „initiiert von unten, gewünscht von oben“ fand großen Anklang. Abhängig von den jeweiligen Landesgesetzen und der gesellschaftlicher Situation müsse jedoch in jedem Fall behutsam vorgegangen werden, um Kinder und Mitarbeitende zu schützen. Populäre Role Models oder eine Erhöhung der Medienpräsenz könnten auf die Bedürfnisse von LSBTIQ Kindern aufmerksam machen. Auch die Anknüpfung an Programme zur Gewaltprävention oder im Gender-Bereich wurde erwogen. Bei allen Vorschlägen waren sich die Diskutierenden einig, dass ein direkter Austausch mit queeren Kindern und ihren Beteuer_innen stattfinden müsse.

Die durchgängige Forderung nach einer größere Datengrundlage einte die Workshop-Ergebnisse. Neben mehr Forschung zum Thema „LSBTIQ-Kinder und -Jugendliche“ könnte die Sammlung von Best bzw. Bad Practices Anhaltspunkte für ein weiteres Vorgehen liefern. Um einen möglichst breiten Erfahrungsaustausch zu gewährleisten, beabsichtigen die Fachtags-Teilnehmenden daher eine enge Zusammenarbeit über alle Organisationen hinweg. Dem Eingangswunsch von Ise Bosch, der Initiatorin des Fachtags und Gründerin von Dreilinden gGmbH, wurde damit voll Rechnung getragen: „Exchange on what is being done, what can be done and how to be more strategic. If you start looking at something you start to see and when you see you also need to act.“

Noch vor Ort wurde beschlossen, wie es konkret weitergeht: Dreilinden wird die Ergebnisse der Workshops in einem Arbeitspapier veröffentlichen. Es wird eine Mailingliste für alle Interessierten geben. Nächste Netzwerktreffen werden im Frühjahr 2017 in Berlin und London stattfinden. Und die Keeping Children Safe Coalition wird den Bedarf nach einer größeren Datengrundlage angehen und eine Umfrage zu Institutional Readiness unter ihren Mitgliedern durchführen. Möchten Sie an der Umfrage teilnehmen, wenden Sie sich bitte an sarah.blakemore@keepingchildrensafe.org.uk. Für weitere Informationen und bei Interesse an der Mailingliste können Sie e.hilgarth@dreilinden.org kontaktieren.

Doch als unmittelbaren nächsten Schritt wollen alle Anwesenden die Erfahrungen und Ergebnisse des Fachtags sowohl in ihre Organisationen als auch in ihr Privatumfeld tragen. Denn wie forderte Safari A.: „We need to mention that LGBTIQ children exist. We need to make others aware that support ist crucial for children.“

Eva-Maria Hilgarth
i.A. Dreilinden gGmbH

*Queer ist ein Sammelbegriff für Menschen, die abweiched von der Heteronormativität leben und wird in diesem Text als Synonym für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*-, Inter*- und queer lebende Menschen (LSBTIQ) verwendet.