6. Fachtag Regenbogenphilanthropie
„LSBTI Menschenrechtsarbeit: Weiterentwicklung und Rückschläge. Schwerpunkt: Lebenssituation von LSBTI in Osteuropa und Russland“

„Ich habe große Angst davor, dass mir meine Tochter weggenommen wird. Zum Glück ist sie schon fast erwachsen.“ Die Bestürzung auf dem Podium war sekundenlang spürbar, bis die Simultanübersetzung des russischen Satzes die Erklärung dafür lieferte. Der sechste Fachtag Regenbogenphilanthropie – ausgerichtet von Dreilinden gGmbH und der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ im November in Berlin – bot allen Teilnehmer_innen Information und Möglichkeit zur Vernetzung; er involvierte sie aber auch emotional. Im Fokus dieses Jahr stand die Lebenssituation von LSBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*- und Inter*-Menschen) in Osteuropa.

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Tatiana Vinnichenko, die Gründerin der russischen LSBT-Beratungsorganisation Rakurs, empfindet die Stimmung in Russland als zunehmend aggressiv. LSBT-Organisationen verlagern sich in die Großstädte, während die Landesperipherie zunehmend verwaist. Probleme sieht Vinnichenko v.a. bei der Beratung von jugendlichen LSBT. Durch das „Anti-Propaganda-Gesetz“ sind den Mitarbeiter_innen bei Rakurs die Hände gebunden. Denn dieses Gesetz stellt positive oder neutrale Äußerung über Homosexualität in Anwesenheit von Kindern unter Strafe. Nicht-heterosexuelle Minderjährige müssen alleine klar kommen, bis sie 18 Jahre alt sind. Ein neuer Gesetzesentwurf will gar dem Staat erlauben, Kinder aus Regenbogenfamilien herauszuholen. Deshalb hofft Vinnichenko, dass die Verabschiedung des Gesetzes noch so lange dauert, bis ihre Tochter nicht mehr davon betroffen ist.

(Aktualisierung: am 18.12.2014 wurde die LSBT-Beratungsorganisation Rakurs vom russischen Justizministerium als „ausländischer Agent“ eingestuft. Seit März 2013 wurden über 50 Nichtregierungsorganisationen, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, mit diesem Instrument unter Druck gesetzt und überwacht; teils auch nur mit der Androhung auf Einstufung¹. Die Kategorisierung führt zu einem erhöhten finanziellen und bürokratischen Aufwand bis hin zu Kontrollen und Geldstrafen. Zudem diffamiert der Begriff aus dem Kalten Krieg die zivilgesellschaftlichen Einrichtungen. Stand: 19.12.2014.)

Doch nicht nur in Russland ist die Lage für „nicht-traditionelle Lebensweisen“ schwierig. Mit dem Beitritt Litauens zur EU verband Vladimir Simonko, Vorstand der Lithuanian Gay League LGL, große Hoffungen – „naiverweise“, wie er selbst sagt. Denn die zunehmende Homophobie werde in Litauen stillschweigend geduldet. Werbevideos zum Baltic Pride 2013 wurden zensiert, homophobe Äußerungen im Parlament nicht geahndet. Von einer ähnlichen Situation in der Ukraine berichtete Anastasya Smirnova von ILGA Europe in einer Videobotschaft. Sie gab einen Überblick über Russland, Litauen und die Ukraine und sieht in allen drei Ländern eine akute, sich verstärkende Bedrohungslage.

„Was können wir in Deutschland tun um Euch zu unterstützen?“, war eine Frage aus dem Publikum. „Gezieltes Ansprechen von russischen oder litauischen Politiker_innen zu LSBTI-Rechten. Denn wir werden gar nicht vorgelassen“, wünschten sich Vinnichenko und Simonko. Auch die Beziehungen der Partnerstädte sollten weiter intensiviert werden. Ein gutes Beispiel hierfür liefere die Aktion Freundschaftskuss.

Entschließen sich LSBTI zur Emigration, kommen Schwierigkeiten in Deutschland auf sie zu. „Wir raten davon ab, Asyl zu beantragen. Dies ist mit Abstand der schwierigste Weg. Wer es sich leisten kann, sollte lieber versuchen, in Deutschland zu studieren oder zu arbeiten“, erklärten Regina Elsner von quarteera und die Rechtsanwältin für Migrations- und Familienrecht Barbara Wessel. Die Diskriminierung durch andere Asylsuchende, hin bis zur massiven Gewaltandrohung und -erfahrung, sei eine Sache; eine andere die Abhängigkeit von ungeschultem und teilweise homophobem Personal, beim Übersetzen, vor Gericht, in den Unterkünften etc. Ferner müssten Anwaltskosten selbst übernommen werden. Mit einem Hilfsfonds könnte man Sprachkurse finanzieren und Personal sensibilisieren, schlugen Elsner und Wesel vor. Stephan Jäkel von der Schwulenberatung Berlin ergänzte diese Vorschläge noch um Ankauf von queeren Flüchtlingswohnungen.

Neil Grungras von ORAM International bekräftigte, wie schwer es im globalen Vergleich sei, in Deutschland Asyl zu erhalten – im Gegensatz zu den USA oder Kanada. Ob zur Verbesserung der Lage Kontigentflüchtlinge LSBTI beitragen könnten, wurde kontrovers diskutiert. Auf jeden Fall müssten auch in Deutschland weiterhin Berührungsängste abgebaut werden, forderte neben Andrea Kämpf (DIMR, Mitherausgeberin der Studie) auch Christoph Strässer, Mitglied des Bundestags, SPD und Menschenrechtsbeauftagter der Bundesregierung. „Nur so können wir mit mehr Glaubwürdigkeit im Ausland auftreten“, sagte Strässer. Die Rechte von LSBTI seien ein zentraler Punkt für ihn in seiner internationalen Arbeit als Menschenrechtsbeauftagter.

Vorgestellt wurde auf der Tagung ebenfalls die Studie „Regenbogenphilanthropie 3“. Auch sie belegt den nach wie vor verkrampften Umgang mit LSBTI in Deutschland. Bei einer Befragung zur Spendenbereitschaft wurde Rücksichtnahme auf das Stammspenderklientel als ein Grund für eine Nicht-Förderung angegeben. Andere Organisationen fördern nicht-öffentlich. Insgesamt beteiligten sich mehr Zivilgesellschaften an den 1,5 Millionen Fördervolumen für LSBTI im globalen Süden und Osten als in den letzten Jahren. Reine Lesben- und Trans*-Projekte erhielten einen höheren Anteil am Gesamtfördervolumen, und erstmalig gab es auch Geld für die Unterstützung von Inter*-Personen. Eine erfreuliche Entwicklung fanden Studienautor_innen Irene Knoke (Südwind), Persson Baumgartinger (Verein ][ diskursiv) und Kommentatorin Sarah Kohrt (Hirschfeld-Eddy-Stiftung).

Gleichzeitig wurden vorhandene Fördertöpfe nicht ausgeschöpft. Die Eigenbeteiligung bei der Förderung sei zu hoch, gerade für kleine Organisationen – dieser Kritikpunkt fiel sowohl bei der Studienvorstellung als auch nach dem Vortrag von Katharina Spieß für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Die Türen seien aber offen, betonte Spieß, und ermunterte zur Kontaktaufnahme.

Grundsätzlich seien gute Anfänge gemacht, um Menschenrechte von LSBTI zu stärken. Neue Synergieeffekte gehen von der Vernetzung der Teilnehmer_innen in den Pausen des Fachtags aus. Denn wenn es keinen direkten Zugriff auf Hilfe gibt, müssen Umwege improvisiert werden. Oder wie der ORAM-Gründer Neil Grungras fomulierte: „Look for friends – just keep turning every stone and you’ll find them there.“

Eva-Maria Hilgarth
i.A. Dreilinden gGmbH

¹ http://www.hrw.org/news/2014/12/15/russia-government-against-rights-groups

“Begrüßung Ise Bosch, Dreilinden”
“Grußwort Günter Saathoff, EVZ”